BERLIN/WASHINGTON—Die weltweite Abhängigkeit von der Massentierhaltung, in der Tausende von stressbelasteten Tieren auf engstem Raum gehalten werden, bietet den perfekten Nährboden für Viren, die künftige Pandemien auslösen können. Staats- und Regierungschefs müssen die Maßnahmen zur Umstellung der globalen Ernährung auf mehr pflanzliche Nahrungsmittel beschleunigen, heißt es in einem White Paper, das von der globalen Tierschutzorganisation Humane Society International (HSI) verfasst wurde. HSI identifiziert fünf primäre Pandemierisiken, die mit der Tierhaltung verbunden sind und eine “Petrischale” für den Ausbruch, die Mutation und die Verbreitung von Krankheitserregern schaffen.
Humane Society International (HSI) identifiziert fünf Pandemie-Risiken in der Tierhaltung
1. Virus-“Spillover”: Die Ausdehnung von Betrieben in zuvor unberührte Gebiete, wodurch Kontakte zwischen Wild- und Haustierarten entstehen können.
2. Virale Amplifikation: Durch das Einsperren einer großen Anzahl von stressbelasteten Tieren in Ställen können neuartige Virusstämme entstehen.
3. Konzentration von Betrieben: Eine hohe geografische Konzentration von Betrieben kann das Risiko der Ausbreitung von Krankheitserregern erhöhen.
4. Der globale Handel mit lebenden Tieren: Hier werden enorme Zahlen von lebenden Tieren zwischen Ländern und Kontinenten transportiert, wodurch sich Krankheitserreger noch weiter ausbreiten können.
5. Märkte für lebende Tiere, landwirtschaftliche Messen und Tierbörsen: Hier werden “Umschlagplätze” geschaffen, wo Tiere aus vielen verschiedenen Gebieten in die Nähe der Bevölkerung gebracht werden, wo sich die Viren weiterverbreiten können.
Nutztiere standen in den letzten zwei Jahrhunderten im Mittelpunkt mehrerer Ausbrüche zoonotischer Krankheiten, darunter die von Geflügel auf den Menschen übertragene Vogelgrippe H5N1 sowie das von Schweinen auf den Menschen übertragene Nipah-Virus und die H1N1-Schweinegrippe. Während die Coronavirus-Pandemie die Welt dazu veranlasste, die Notwendigkeit anzuerkennen, unhygienische Wildtiermärkte, die als wahrscheinlicher Ursprung des neuartigen Coronavirus gelten, zu schließen, haben Massentierhaltungsbetriebe und Schlachthöfe ebenfalls das Potential die öffentliche Gesundheit zu gefährden, und das oft viel näher am Wohnort.
Julie Janovsky, Vizepräsidentin `Farm Animal Welfare´ bei HSI, sagt: “Seit bekannt wurde, dass COVID-19 wahrscheinlich von einem Lebendtiermarkt stammt, auf dem gestresste Tiere unter unhygienischen Bedingungen in Käfigen zusammengepfercht sind, haben wir untersucht, welche anderen Formen der Ausbeutung von Tieren durch den Menschen ein ähnliches Potential für Krankheiten schaffen können. Ein Blick auf die Zahlen macht klar, dass die beispiellose Zunahme und Ausweitung der Massentierhaltung, in der wir jedes Jahr weltweit mehr als 80 Milliarden Tiere aufziehen und schlachten, ein hohes Risikopotential darstellt. Die Botschaft ist einfach: Wenn wir künftige Pandemien aufhalten wollen, müssen wir den Fleischkonsum deutlich reduzieren. Die führenden Politiker der Welt müssen aktiv dabei unterstützen, den Anteil der pflanzlichen Alternativen in der globalen Ernährung zu erhöhen.”
Ähnlich wie bei den Wildtiermärkten werden auch in der Massentierhaltung eine große Anzahl von Tieren auf engem Raum zusammengepfercht, allerdings in einem viel größeren Maßstab. In industriellen Hühner- und Eierproduktionsanlagen werden die Tiere zu Zehntausenden oder sogar Hunderttausenden aufgezogen und atmen in düsteren Gehegen dieselbe staubige, ammoniakhaltige Luft ein. Zuchtschweine in der Schweineindustrie sind in der Regel in Metallboxen eingesperrt, die so eng sind, dass sie sich nicht einmal umdrehen können, und Hennen, die für die Eierproduktion gehalten werden, leiden in Käfigen, die so klein sind, dass sie ihre Flügel nicht ausstrecken können. Je größer die Anzahl der Tiere ist, in denen sich ein Virus vermehren kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein neuer und tödlicher Erreger in einer infizierten Produktionsstätte entsteht.
Um eine weitere Zoonose wie COVID-19 zu verhindern, fordert HSI dringend:
- Eine deutliche Reduzierung unserer globalen Abhängigkeit von tierischem Eiweiß.
- Eine Politik, die die Produktion von pflanzlichen Alternativen anstelle der Tierhaltung begünstigt.
- Eine Reduzierung der Tierbestände, die für die menschliche Ernährung gezüchtet werden, um die Dichte der Tierpopulationen sowohl innerhalb der Betriebe als auch geografisch zu verringern.
- Ein Ende der Massentierhaltung.
- Keine Transporte lebender Tiere über lange Strecken.
- Maßnahmen zum Schutz natürlicher Ökosysteme vor landwirtschaftlicher Expansion und anderen Ursachen für Zerstörung und Fragmentierung.
- Ein generelles Verkaufsverbot für Geflügel auf allen Märkten für lebende Vögel und Auflagen für Tierbörsen & Messen mit lebenden Tieren.
Dr. Sara Shields, leitende Wissenschaftlerin für Nutztiere bei HSI, sagt: ” Wenn wir bisherige Ausbrüche von Tier-zu-Mensch-Krankheiten untersuchen, können wir ein Muster erkennen, das eindeutig die intensive Tierhaltung als Hauptverursacher identifiziert. Der Ausbruch von Nipah in Malaysia im Jahr 1997 war ein Beispiel für die Übertragung von Viren von Wildtieren auf Haustiere. Eine Metaanalyse hat gezeigt, dass die hochpathogene Vogelgrippe durch die gemeinsame Haltung von Tausenden von Vögeln ermöglicht wird, wo mutierende Viren leicht zwischen den Wirten ausgetauscht werden können. Wir können unsere Welt weniger anfällig für zukünftige Pandemien machen, aber nur, indem wir die Tierhaltung neu bewerten und den Anteil von pflanzlichen Proteinquellen in der Ernährung erhöhen. Um dies zu erreichen, müssen sich die Regierungen aktiv an der Neuausrichtung unseres Lebensmittelsystems beteiligen. Aber auch als Verbraucher sind wir direkt für die Auswirkungen unserer Lebensmittelauswahl verantwortlich. Der Markt für pflanzliche Lebensmittel boomt und macht es einfach, tierische Produkte durch pflanzliche Alternativen zu ersetzen. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um gewissenhafte Entscheidungen mit Blick auf die Tiere und die Gesundheit unseres Planeten zu treffen.”
Hier finden Sie das White Paper von HSI: Der Zusammenhang zwischen Nutztierhaltung, viralen Zoonosen und globalen Pandemien
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Medienkontakt: Sylvie Kremerskothen Gleason, Country Director Deutschland, HSI/Europe: sgleason@hsi.org